Liberalismus als Zumutung

Selbstveranwortung? Lieber nicht.

Es liegt im Trend, bei allen möglichen Anliegen sofort nach dem Staat zu rufen. Doch für ein Leben in Wohlstand und Freiheit braucht es den persönlichen Einsatz – das ist keine Zumutung, sondern nötiger denn je! Liberalismus scheint aus der Zeit gefallen. Selbstverantwortung? Lieber nicht. Die neue Staatsgläubigkeit treibt zuweilen seltsame Blüten: So forderte kürzlich eine Stadtzürcher SP-Parlamentarierin mit einer Motion, dass die Stadt auf öffentlichen Plätzen, in Badis und Schulen Sonnencreme verteilt – selbstverständlich gratis. Auch in der Luzerner Politik wird munter gefordert: Grüne Politiker wollten mit einer Motion erreichen, dass die Stadt Luzern Häuser, die länger als ein Jahr leer stehen, zum Marktpreis kauft oder die Eigentümerschaft enteignet. Dass man für mehr Wohnraum auch die starren Vorschriften und langen Bewilligungsverfahren beim Bauen lockern könnte – das scheint dagegen undenkbar.

Ständerat Damian Müller

Zentrale Erfolgsfaktoren der Schweiz

Verbote statt Anreize, Schulterzucken statt Anpacken: Der Liberalismus hat einen schweren Stand. Es ist geradezu ungeheuerlich, wenn man die Menschen daran erinnert, dass es in erster Linie an ihnen selbst liegt, nach ihrem Glück zu streben. Doch der klassische Liberalismus ist nicht aus der Zeit gefallen. Im Gegenteil: Er ist ein Versprechen an die Zukunft. Der Staat ermöglicht den Menschen ein Leben in Freiheit und gewährt Zugang zu einer guten Ausbildung. Als Gegenleistung dafür bringen sich die Bürgerinnen und Bürger entsprechend ihren Fähigkeiten in die Gemeinschaft ein. Auf diese Pfeiler bauen die zentralen Erfolgsfaktoren unseres Landes.

Der Ruf nach immer mehr Staat rüttelt an diesen Erfolgspfeilern. Oder, wie der frühere FDP-Bundesrat Kaspar Villiger in einem Interview mit der NZZ konstatiert hat: «Unser an sich sehr bewährter politischer Motor hat plötzlich Aussetzer.» Die Schweiz sei sehr viel polarisierter geworden. «Das setzt unser stark konsensorientiertes System unter Druck.» Tatsächlich verharren die Parteien Links wie Rechts lieber stur auf ihren Extrempositionen, statt Kompromisse zu machen. So droht der oberste Gewerkschafter Pierre-Yves Maillard unverblümt damit, die Bilateralen III zu blockieren – noch bevor auch nur ein konkretes Ergebnis auf dem Tisch liegt. Nicht besser sieht es bei gewissen Parteioberen der SVP, aber auch bei gewissen so genannten Wirtschaftsführern aus: Man verweigert sich von vornherein jeglicher Diskussion, Fakten hin oder her.
Von solch radikalen Positionen lassen sich gewisse Wählerinnen und Wähler beeindrucken, wie sich im letzten Oktober gezeigt hat. Die FDP dagegen hat Mühe, mit ihrer lösungsorientierten Politik Gehör zu finden. Die Folge: Wir haben einen Reformstau im Europadossier, der Altersvorsorge, der Migration, der Neutralitäts- oder der Energiepolitik.

«Es schmerzt mich, dass wir als Partei mit Kompetenzen das Thema Kaufkraft anderen überlassen.»


Anreize für Vollzeiterwerbsarbeit setzen

Als Liberaler will ich Probleme anpacken – und nicht aussitzen. Es schmerzt mich, dass wir als Partei mit Kompetenzen das Thema Kaufkraft anderen überlassen. Wir sind es doch, die fordern, dass sich Arbeit lohnen soll. Umso mehr, als die Vollzeiterwerbsarbeit in der Schweiz seit Jahren dramatisch abnimmt. Vor diesem Hintergrund habe ich im Parlament einen Vorstoss eingereicht, der fordert, dass jene Menschen, die hundert Prozent arbeiten, bei den Steuern entlastet werden. Höhere Arbeitspensen im Inland könnten nämlich auch die hohe Zuwanderung bremsen. Mit meiner Motion für Anreize bei einem Vollzeiterwerb habe ich diese wichtige Diskussion in Gang gebracht. Die Motion wurde der zuständigen Kommission zugewiesen.

Die Schweiz lebt über ihre Verhältnisse

Wir Liberale müssen aber nicht nur praktikable Lösungen aufzeigen, sondern den Finger auch auf wunde Punkte legen. Etwa darauf, dass unser Land deutlich über seine Verhältnisse lebt. So hat der Bund 2022 erstmals seit 17 Jahren auch im ordentlichen Haushalt mit einem höheren Defizit abgeschlossen, als konjunkturell zulässig wäre. Dieses strukturelle Defizit beträgt knapp 1,6 Milliarden Franken. Wohin ungebremste Ausgaben führen können, sehen wir aktuell in unserem Nachbarland Deutschland. Zugegeben: Auch in Teilen der Wirtschaft ist es zur Mode geworden, sofort nach dem Staat zu rufen, wenn es einmal nicht gerade rund läuft. Unser Wohlstand ist aber nicht gottgegeben, sondern wir müssen das Geld erst verdienen, bevor wir es ausgeben. Auch so viel Klartext wird in der heutigen Zeit von einigen schon als Zumutung empfunden. Als Liberale allerdings sind wir uns bewusst, dass es für ein Leben in Wohlstand und Freiheit immer auch den persönlichen Einsatz braucht – und nicht nur den Ruf nach dem Staat.

Damian Müller, Ständerat LU