Mut statt Wut

 

geschrieben von Dr. Kurt Weigelt, Direktor IHK St.Gallen-Appenzell

Verglichen mit unseren Nachbarstaaten hat die Schweiz den globalen Strukturwandel wirtschaftlich und politisch gut bewältigt. Dies nicht zuletzt dank den Möglichkeiten der direkten Demokratie. Bei uns entscheidet das Volk an der Urne und nicht bei Strassenkrawallen über den Bau eines Eisenbahntunnels oder die Anpassung des Rentenalters. Trotzdem werden auch unsere politischen Auseinandersetzungen zunehmend durch das Gefühl der Verunsicherung und der Wut geprägt. Exemplarisch dafür das Abstimmungswochenende vom 28. November des vergangenen Jahres. Mit den kriminellen Ausländern und den Superreichen bewirtschaftete die Ausschaffungsinitiative der SVP und die Steuergerechtigkeitsinitiative der SP Feindbilder, die gemessen an den globalen Herausforderungen nicht durch ihre gesellschaftliche Relevanz, sondern einzig durch ihre Medientauglichkeit auffielen. Auch für die direkte Demokratie gilt, dass sich Emotionen wie Neid, Missgunst oder Angst einfacher kommunizieren und wütende Bürger einfacher mobilisieren lassen. Nur, eine Politik der Symbole und die Suche nach Sündenböcken befriedigen die Gefühle, löst aber keine Probleme. Und exakt hier liegt die Herausforderung. Verantwortungsvolles Handeln lebt nicht von der Wut auf Veränderungen, sondern vom Mut, sich diesen Veränderungen zu stellen und Lösungen für die Zukunft zu finden. Es gilt, Mut statt Wut. Und dies in dreifacher Hinsicht. Gefordert ist unser Mut zu einer konsequenten Ordnungspolitik, zur Langfristigkeit und es braucht unseren ganzen Mut, Nein zu sagen.

 

 

 

Mut zur Ordnungspolitik

Eine liberale Ordnungspolitik macht die Freiheit des Einzelnen zum Ausgangspunkt aller staatlichen Massnahmen und konkretisiert diese individuelle Freiheit in einer Wirtschaftsverfassung, bei der die Garantie des Privateigentums, die Vertragsfreiheit, der freie Marktzugang und die individuelle Haftung grundsätzliche Bedeutung zukommt. Als allgemeine Regel ist dies schnell gesagt. Anspruchsvoller wird es, wenn unser ordnungspolitisches Denken durch den politischen und wirtschaftlichen Alltag herausgefordert wird. Es braucht Mut, mit ordnungspolitischen Argumenten der politischen und medialen Entrüstungsindustrie entgegenzutreten, die ein absurd hohes Einkommen eines einzelnen Managers als generelles Problem der Wirtschaft thematisiert. Noch stärker gefordert ist unser Mut, wenn die Grundregeln einer freiheitlichen Wirtschaftsverfassung von der Wirtschaft selbst in Frage gestellt werden. Dazu gehören Forderungen nach staatlichen Interventionen, weil einzelne Unternehmen „too big to fail“, private Veranstalter in Kultur und Sport „too important to fail“ oder durch den Strukturwandel herausgeforderte Branchen „too established to fail“ sind. In all diesen Fällen ist Widerspruch angesagt. Eine glaubwürdige Ordnungspolitik darf nicht vor der eigenen Haustüre Halt machen.

 

Mut zur Langfristigkeit

Im Gegensatz zur ordnungspolitischen Gradlinigkeit wird das Bestreben um Langfristigkeit nicht durch Einzelinteressen, sondern durch die Spielregeln der demokratischen Auseinandersetzung herausgefordert. Das traditionelle Koordinatensystem der Schweizer Politik hat an Relevanz verloren. Überlagert wird der Verlust an langfristiger Orientierung durch die Bedürfnisse des politischen Marketings. Im Kampf um die Headline in der Sonntagspresse interessiert der politische Knalleffekt stärker als das eigene Parteiprogramm. Matchentscheidend ist nicht die gesellschaftliche Bedeutung eines Anliegens, sondern das kurzfristige Mobilisierungspotential. Mit dem Schlagwort Rentenklau und dem Feindbild Abzocker lässt sich eine Abstimmungen über den BVG-Umwandlungssatz, nicht aber eine Zukunft in Selbstbestimmung und Selbstverantwortung gewinnen. Eine verantwortungsvolle Politik widersetzt sich dieser Kurzatmigkeit und bringt den Mut auf, populistischen Forderungen entgegenzutreten.

 

Mut, Nein zu sagen

Auch in der politischen Auseinandersetzung geht es letztlich nicht um schöne Worte, sondern um Franken und Rappen. Der Kampf um finanzielle Privilegien gehört ebenso zur Demokratie wie die Wahl in politische Ämter. Die professionelle Anspruchs-Bewirtschaftung ist die Königsdisziplin einer auf Umverteilung fokussierten Politik. Geschenke erhalten nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Leben die Freundschaft. Hier einige Millionen für die Milchbauern, dort eine Subvention für ein alternatives Kino und für alle die Garantie eines Poststellennetzes aus dem 19. Jahrhundert. Diese Bewirtschaftung quasilegitimer und oft marginaler Ansprüche überfordert unser Gemeinwesen. Es braucht daher unseren Mut, zu dieser Anspruchshaltung statt „Yes, we can!“ zu sagen: „No, we don’t“.

 

Mut statt Wut

Jedes politische Engagement bewegt sich im Spannungsfeld von kurzfristigen Interessen und langfristig angelegter Politik. Für die verschiedenen Akteure der politischen Willensbildung gelten dabei unterschiedliche Prioritäten. Politische Parteien, die sich über Wahlerfolge definieren, werden die kurzfristige Optik stärker gewichten. Interessenverbände dagegen versuchen, die langfristige gesellschaftliche Entwicklung in ihrem Sinne zu beeinflussen. Für alle Beteiligten gilt jedoch, dass eine zukunftsfähige Politik nicht negative Emotionen wie Wut, Angst und Neid bewirtschaftet, sondern sich der inhaltlichen Auseinandersetzung stellt. „Wo der Verstand aufhört, beginnt die Wut“, so der Dalai Lama. Politik mit Verstand heisst: Mut statt Wut.