Das Ende der Igel-Schweiz: Zusammenarbeit mit der NATO massiv verstärken

Die schweizerische Sicherheitspolitik ist in einer Sackgasse. Der Angriff Russlands auf die Ukraine offenbart dies schonungslos. Wir brauchen eine starke Armee und die Fokussierung auf Kooperationen und in unserer Streitkräfteplanung.

Die aktuelle machtpolitische Konstellation zeigt in aller Deutlichkeit, dass der Grundsatz der autonomen Verteidigungsfähigkeit in einem modernen Konflikt nicht mehr absolut gilt. Weder aus technologischer noch aus finanzieller Sicht kann heute eine auf sich gestellte Verteidigung gewährleistet werden. Ohne eine eigene, starke Armee und ohne Interoperabilität der Systeme ist dies allerdings nicht möglich. Zudem ist die Schweiz heute nicht mehr umgeben von rivalisierenden Mächten, sondern von Demokratien mit denselben Werten. Ein Angriff auf uns wird deshalb wohl mit einem Angriff auf diese Demokratien verbunden sein.

Im unwahrscheinlichen Fall eines Konflikts zwischen diesen Demokratien bliebe die Schweiz neutral. Bei einem – noch unwahrscheinlicheren – direkten Angriff erlaubt das Haager Neutralitätsrecht eine militärische Zusammenarbeit. Ohne Training und Interoperabilität ist diese Zusammenarbeit aber illusorisch. Eine solche Sicherheitspolitik ist mit unserer Neutralität vereinbar.

Konflikte des 21. Jahrhunderts

Die aktuelle machtpolitische Konstellation legt offen, dass der Grundsatz der autonomen Verteidigungsfähigkeit nicht mehr absolut gilt. Sie kann weder technologisch noch finanziell gewährleistet werden. Die Sicht der Schweiz als Igel passt nicht mehr auf heutige Konfliktszenarien: Sicherheit kann selten noch rein territorial verstanden werden, was zu einer weiteren Erkenntnis führt: Die schweizerische Sicherheitspolitik hat sich seit dem Fall der Mauer zu wenig weiterentwickelt. Sie taumelt argumentativ zwischen einer engen Auslegung der Neutralität, der Erwartung nach Gratis-Schutz durch den NATO-Gürtel und dem fehlenden Budget für die Landesverteidigung. Die Schweiz droht zur sicherheitspolitischen Trittbrettfahrerin zu werden.

Angriff auf unsere Werte

Aktuell werden unsere Werte global herausgefordert. Der Platz der Schweiz nur an der Seite der Verteidiger dieser Werte sein. Es gilt auch für uns, was Dwight D. Eisenhower (Supreme Commander der alliierten Streitkräfte und späterer US-Präsident) sagte: «Ein Volk, das seine Privilegien über seine Prinzipien stellt, verliert bald beides.»

Verstärkung der strategischen Partnerschaft – kein NATO-Beitritt

Die neutralen Länder Finnland und Schweden zeigen uns, wie eine funktionsfähige, moderne Neutralität aussehen kann. Sie traten bisher dem NATO-Bündnis nicht bei, weil dies mit ihrer Neutralität nicht vereinbar war. Aber sie nahmen an NATO-Übungen teil und richteten ihre Streitkräfte konsequent auf Interoperabilität aus.

Weiterentwicklung von Fähigkeiten und Interoperabilität

Die letzten fünfzehn Jahre mussten wir für uneindeutige Konflikte mit unbekannter Skalierung bereit sein. Heute ist die fähigkeitsorientierte Streitkräfteplanung zwar zu erhalten, die Fähigkeiten aber ganz konkret an der Bedrohung - Krieg in Europa - zu messen. Ein überlegter Ausbau unserer Landesverteidigung ist deshalb ein Imperativ. Die Schweiz tut daher gut daran, wenn sie zwar den NATO-Beitritt aus neutralitätsrechtlichen Gründen nicht in Betracht zieht, aber eine viel engere, über die bestehende «Partnership for Peace» (PfP) hinausgehende Kooperation z.B. im Rahmen der «Partnership Interoperability Initiative» (PII) und «Enhanced Opportunities Partner» (EOP) anstrebt. Denn für die Sicherheitsarchitektur in Europa wird auf unabsehbare Zeit die NATO massgebend sein.

Wer im Krieg kooperieren will, muss vorgängig die Zusammenarbeit planen und trainieren sowie die Systeme aufeinander abstimmen. Hierzu muss die Schweizerische Sicherheitspolitik mit Blick auf aktuelle sowie künftige Bedrohungsszenarien und ohne ideologische Scheuklappen dringend die notwendigen Weichen stellen. Ein entscheidender erster Schritt dazu ist die Sicherung der Verteidigungsfähigkeit im Alpenraum mit dem F-35.

Thierry Burkart, Ständerat und Parteipräsident

Thierry Burkart