Die Legitimation der Dienstpflicht liegt allein in der staatlichen Sicherheitsgewährleistung
Zu oft wird übersehen, dass die eigentliche Funktion der Dienstpflicht in der Gewährleistung der Verteidigungsbereitschaft und des Zivilschutzes besteht. Aus liberaler und völkerrechtlicher Perspektive ist Sicherheit sodann auch der einzige sachlich haltbare Grund, junge Menschen zu einem Zwangsdienst zu verpflichten. Die «Service-citoyen-Initiative» verletzt dieses Staatsverständnis nicht nur; sie untergräbt es in seinem Kern. Die Verpflichtung von Personen zu Diensten zugunsten der Allgemeinheit oder der Umwelt kollidiert daher unweigerlich mit dem Völkerrecht, namentlich mit dem Verbot der Zwangsarbeit. Denn selbst der Bundesrat vermag nicht zu garantieren, dass jederzeit hinreichend sicherheitsrelevante Milizdienste zur Verfügung stehen; in der Folge würde ein verpflichtender «Service citoyen» fundamentale Normen des Völkerrechts verletzen.
Freiwilligenarbeit verdient Anerkennung, nicht staatlichen Zwang
Die Initiative erweist sich bereits in ihrem konzeptionellen Ansatz als grundlegend fehlgeleitet. Indem sie das, was heute aus verdankenswerter persönlicher Überzeugung und bürgerschaftlichem Engagement geschieht, in eine staatlich verordnete Pflicht überführt, entwertet sie die Freiwilligenarbeit in ihrem innersten Wesen. Als zentrale Pfeiler einer lebendigen Zivilgesellschaft würden Freiwilligkeit und Eigenverantwortung damit ausgehöhlt und durch obrigkeitliche Lenkung ersetzt. Gerade Vereine, Feuerwehren, Jugendorganisationen und andere gemeinnützige Institutionen gründen jedoch auf dem Prinzip selbstbestimmter Verantwortung. Sie schöpfen ihre Kraft aus der intrinsischen Motivation ihrer Mitglieder, nicht aus staatlicher Verpflichtung. Der «Service citoyen» entzöge diesen Strukturen nicht nur ihre Autonomie, sondern würde auch jene soziale Bindekraft unterminieren, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt sicherstellt. Statt die Zivilgesellschaft zu stärken, droht die Initiative, deren moralisches Fundament zu schwächen und damit das Gegenteil dessen zu bewirken, was sie vorgibt, zu fördern.
Der «Service citoyen» als volkswirtschaftliches Eigentor
Eine volkswirtschaftliche Zweckmässigkeit eines Dienstes, wie ihn das «Service Citoyen»-Konzept vorsieht, ist kaum gegeben. Es erscheint widersinnig, der Wirtschaft qualifiziertes Personal zu entziehen, um es für Aufgaben einzusetzen, für die es weniger geeignet ist und die ausserhalb seiner beruflichen Kompetenzen liegen. Ein solcher Eingriff droht, Effizienzverluste herbeizuführen, die aus liberaler Optik nur dann gerechtfertigt wären, wenn dadurch die Sicherheit der Schweiz gewährleistet würde. Im vorgesehenen Umfang der Initiative droht hingegen ein System, das weder der Allgemeinheit noch der Wirtschaft dienlich ist.
In der Folge ist die Feststellung wohl zutreffend, dass auch der bestehende Zivildienst, obgleich im Unterschied zum «Service citoyen» als Ersatzdienst konzipiert, vergleichbare Tendenzen erkennen lässt: Er ersetzt zunehmend reguläre Tieflohnarbeitskräfte, verschärft durch falsche Ressourcenallokation den Fachkräftemangel und verzerrt den Arbeitsmarkt. Unabhängig von der Volksabstimmung über den «Service citoyen» muss gefordert werden: Wer physisch und psychisch diensttauglich ist, soll seinen Beitrag im Rahmen des Militärdienstes leisten. Ist die Tauglichkeit für den Dienst an der Waffe aus physischen, psychologischen oder ethischen Gründen nicht gegeben, so soll der Dienst im Zivilschutz geleistet werden. Ist auch dieser Dienst nicht möglich, ist eine Ersatzabgabe zu entrichten. Langfristig erweist sich der Zivildienst als kontraproduktiv und gehört abgeschafft.
Die Wehrpflicht für alle ist überfällig
Positiv zu würdigen ist, dass die Initiative die längst überfällige Debatte um die Geschlechterfrage im Militärdienst neu belebt. Schweizer Männer sind per Verfassung und Gesetz zum Militärdienst verpflichtet, Frauen steht dieser Dienst lediglich offen. Dies ist wahrlich ein anachronistisches Relikt staatlicher Ungleichbehandlung. Wer Gleichstellung ernst nimmt, muss auch diese Ungleichheit beseitigen. Die Einführung einer geschlechterunabhängigen Sicherheitsdienstpflicht wäre überfällig, wobei sich die Anzahl der jährlich zu rekrutierenden Personen am tatsächlichen Bedarf der Organisationen auszurichten hat; nicht rekrutierte Personen wären entsprechend ersatzpflichtig.
Unser Dienstmodell verlangt eine grundsätzliche, sicherheitspolitisch begründete Reform
Freilich ist die Zukunft des Schweizer Dienstmodells mit der «Dienstpflicht für alle» noch keineswegs zu Ende gedacht, da die Corona-Pandemie wie auch verschiedene Naturereignisse jüngst die Verletzlichkeit der Schweiz in aller Deutlichkeit vor Augen geführt haben. Neben der Armee, die dringend besser ausgerüstet werden muss und dem Zivildienst, der abgeschafft gehört, bleibt noch der Zivilschutz, der in der aktuellen Debatte zu oft vergessen wird. Dabei zeigt ein Blick auf die Dynamik moderner Konflikte und hybrider Bedrohungslagen mit Nachdruck, welch zentrale Rolle dem Zivilschutz im Verbund der Sicherheitsarchitektur zukommt. Gleichwohl ist der Schweizer Zivilschutz in seiner heutigen Gestalt nur unzureichend auf solche Herausforderungen vorbereitet. Neben strukturellen Mängeln in der Alimentierung und der ungenügenden Ausstattung mit finanziellen wie materiellen Mitteln ist auch seine grundlegende Zweckbestimmung in Schieflage geraten. Allzu häufig tritt der Zivilschutz als Hilfsorgan bei Sportanlässen oder sogenannten «Diensten zugunsten der Gemeinschaft» in Erscheinung, anstatt die ihm wesensgemässe Aufgabe einer robusten, krisenfesten Einsatzorganisation wahrzunehmen. Dieser Zustand bedarf der Korrektur. Der Zivilschutz ist seiner eigentlichen Bestimmung zuzuführen und zu einer schlagkräftigen, strategisch eingebetteten Organisation weiterzuentwickeln, welche die zivile Resilienz des Landes im Ernstfall wirksam zu sichern vermag.
Nein zum «Service citoyen»
Letztlich zeigt sich auf mannigfache Weise: Zwar mag die «Service-citoyen-Initiative» den Gedanken von Engagement und gesellschaftlicher Verantwortung ins öffentliche Bewusstsein rücken, doch verkennt sie in gravierender Weise die liberalen, völkerrechtlichen und volkswirtschaftlichen Rahmenvorgaben, die einem staatlich verordneten Dienst zugrunde liegen sollten. Die «Service-citoyen-Initiative» ist deshalb abzulehnen.