«Ich wünsche mir, dass die Fraktion als Team arbeitet»

Ziele und Vorstellungen des neuen Fraktionspräsidenten

Der Neuenburger Nationalrat Damien Cottier versteht sich als Coach, der auf ein gutes Kollektiv achtet und ein Gleichgewicht zwischen internen Diskussionen und dem Einsatz für gemeinsame Positionen herstellt. Genauso wichtig ist ihm aktive Präsenz der FDP-Parlamentariern in ihren Heimatkantonen.

Damien Cottier wurde 2019 in den Nationalrat gewählt, zuvor war er persönlicher Mitarbeiter von Bundesrat Didier Burkhalter. Foto: Désirée Dittes

Seit deiner Wahl zum Fraktionspräsidenten sind einige Wochen vergangen. Wie hast du diese Zeit erlebt?
Es ist ein neues Kapitel und eine neue Herausforderung. Zehn Tage nach der Wahl begann bereits die Session. Das erforderte gute Vorbereitung und viel Energie. Ich habe aber grosse Freude an meiner neuen Rolle und bin dankbar für das Vertrauen. Mir gefällt, dass man mit allen Fraktionsmitgliedern und Vertretern anderer Fraktionen sowie Bundesräten und externen Vertretern einen regen Austausch pflegt. Das Amt sorgt auch dafür, dass man alle politischen Themen im Blick hat, nicht nur diejenigen der eigenen Kommission.

Du bist Spezialist für Aussenpolitik. Ist diese breite thematische Abdeckung eine besondere Herausforderung?
Es stimmt, dass ich mich in Aussenpolitik gut auskenne, aber ich bin schon seit 25 Jahren in der Politik und habe mich schon viel mit Bildungs-, Sozial, Finanzpolitik und Forschungsthemen befasst. Als Mitglied der staatspolitischen Kommission bin ich nun unter anderem für Migrationsthemen, Demokratie und Datenschutz zuständig. Ich finde es wichtig, dass man als Politiker ein Generalist bleibt. Ich kann mich für viele Themen begeistern, deshalb entspricht mir diese Art des Politisierens.

Nach über 25 Jahren bist du der erste Fraktionspräsident aus der Westschweiz. Was bedeutet das für die Fraktion?
Ich denke, meine Herkunft sollte nicht überbewertet werden. Es gibt seit 50 Jahren Abwechslung zwischen lateinischen und deutschsprachigen Fraktionspräsidenten. Zuletzt hatten wir mit Ignazio Cassis und Fulvio Pelli zwei Tessiner als lateinische Fraktionspräsidenten. Diese Abwechslung ist positiv, weil damit verschiedene Kulturen in den Parteigremien vertreten sind. Die Integration von Minderheiten entspricht auch den Werten der Schweiz – umso mehr, weil 40% der Fraktionsmitglieder aus der lateinischen Schweiz kommen. Aber am Ende zählt nicht, woher man kommt, sondern ob man die FDP-Werte vertritt und sich für den Zusammenhalt in der Fraktion einsetzt.

In der FDP-Liberale-Fraktion gibt es traditionell viele unterschiedliche und auch starke Meinungen. Wie gehst du damit um?
Wir sind die Partei der Freiheit. Es ist daher nicht erstaunlich, dass unterschiedliche Positionen existieren, gerade zu Beginn eines politischen Prozesses. Das ist aber nichts Neues! Kurt Fluri erinnerte kürzlich bei der Würdigung des verstorbenen Nationalrats Franz Eng daran, dass es dieselben Diskussionen gab als Eng Ende der 1970er Jahre Fraktionspräsident war. Es ist wichtig, dass alle ihre Meinung äussern können. Wir diskutieren, hören einander zu und suchen schliesslich nach einer gemeinsamen Position. Die Einbindung von Haltungen und die Suche nach Gemeinsamkeiten ist typisch Schweiz. Und wenn man sich nicht findet, stimmt man ab. Als Fraktionspräsident will ich in diesen Prozessen ein Gleichgewicht finden.

Was sind deine Prioritäten als Fraktionspräsident?
Ich entscheide nicht, in welche Richtung sich die Fraktion bewegen soll. Was ich mir wünsche, ist dass die Fraktion als Team agiert. Wir sind nicht einfach die Summe von 41 Einzelpersonen, sondern ein FDP-Team, das gemeinsame Werte vertritt. Da ähnelt sich die Politik dem Sport. Es braucht einen guten Teamgeist, um zu gewinnen. Deshalb will ich auch Raum schaffen für Diskussionen, wenn es unterschiedliche Meinungen gibt. Kurzum: Meine Priorität ist, dass wir als Team funktionieren und jeder seinen Platz findet.

Und in diesem Team bist du der Kapitän?
Ich bin eher der Coach, der motiviert, unterstützt, an die gemeinsamen Regeln erinnert und die Arbeit organisiert.

Nicht nur die Fraktion ist ein Team, sondern auch das Fraktionspräsidium mit Daniela Schneeberger, Hans Wicki und dir. Wie funktioniert die Zusammenarbeit?
Sehr gut! Um es mit einer französischen Redewendung zu sagen: Die Mayonnaise hat sofort gepasst. Hans Wicki ist erfahren, konstruktiv und sehr angenehm im Umgang. Er hat seine Rolle als Präsident der Ständeratsgruppe, die ihre eigene Dynamik und Agenda hat. Die Ständeratsgruppe ist natürlich in die Fraktion integriert, muss aber trotzdem ihre eigene Arbeitsweise bewahren. Über die Wahl von Daniela Schneeberger als Fraktionsvizepräsidentin habe ich mich sehr gefreut. Sie übt ihre Aufgabe mit viel Dynamik, Erfahrung und Loyalität aus und zeigt grosses Engagement. Was nicht zu unterschätzen ist: Beide haben einen tollen Sinn für Humor. Wir bilden sicher ein gutes Team.

Wir befinden uns in der zweiten Hälfte der Legislatur. Was sind deine Ziele mit der Fraktion bis zum Legislatur-Ende?
Wir wollen den bisherigen Weg fortsetzen und die Ziele weiterverfolgen, die wir uns zu Legislaturbeginn gesetzt haben. Die Themen Sicherheit und Energieversorgung bleiben zentral. Zudem haben diese Themen aufgrund der Aktualität an Bedeutung gewonnen und die FDP ist hierbei glaubwürdig. Selbstverständlich hat auch die Sicherung der Altersvorsorge hohe Priorität und wirtschaftliche Fragen bleiben das Kerngeschäft der FDP. Wirtschaftliche und steuerliche Massnahmen, um die Gründung von Unternehmen zu erleichtern, Innovation zu ermöglichen und Arbeitsplätze zu schaffen sind eine Daueraufgabe, die von uns ständig vorangetrieben wird. Diese Anstrengungen der FDP sind nicht neu, gewinnen durch die Aktualität aber noch an Gewicht. Es liegt an uns, unsere Arbeit im Parlament in der Öffentlichkeit sichtbar zu machen. Die Fraktion hat dabei eine Scharnierfunktion. Wir können die Parteistrategie in die parlamentarische Arbeit aufnehmen.

In eineinhalb Jahren finden die eidgenössischen Wahlen statt. Was kann die FDP-Liberale-Fraktion beitragen, damit die FDP gewinnt?
Weiterarbeiten wie bisher und unsere Tätigkeit im Parlament noch besser bekannt machen. Zudem bin ich überzeugt, dass die lokale Verankerung wichtig ist. Wir haben zuletzt in verschiedenen Kantonalwahlen gute Ergebnisse erzielt. Dabei ist es wichtig, dass die nationalen Parlamentarierinnen und Parlamentarier auch mit der Bevölkerung in Kontakt treten, Flyer verteilen und bei der Unterschriftensammlung für die Individualbesteuerung mitmachen. Die gewählten FDP-Vertreter kennen die Bevölkerung und können ihre Anliegen weitertragen. Die Fraktionsmitglieder sollten daher in ihren Kantonen am wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Leben teilnehmen und bei den Aktivitäten ihrer Kantonalpartei präsent sein.

Die Nähe zwischen Politik und Bürger ist also ein Vorteil?
Absolut. Die Schweiz ist fast das einzige Land, in dem man Bundesräte beim Einkaufen oder im Bus trifft. Gleiches gilt für die Parlamentarier, die man in ihrer Heimat problemlos ansprechen kann. Das ist äusserst wertvoll. So haben die Menschen das Gefühl gehört zu werden, und dass ihre Meinung ernst genommen wird. Zu diesem Dialog müssen wir Sorge tragen.

Zwischen 2001 und 2005 warst du Fraktionspräsident der FDP im Neuenburger Kantonsparlament. Hilft dir die Erfahrung aus dieser Zeit heute?
Natürlich, es ist exakt dasselbe (lacht). Ernsthaft: Im Bundesparlament ist die Organisation etwas komplizierter. Es gibt zwei Kammern und mehrere Sprachen, aber am Ende ist die Arbeit ähnlich. Ich muss dafür sorgen, dass die Diskussionen intern geführt werden, die Fraktion geeint ist und mit anderen Fraktionen für Mehrheiten kämpfen. Auch wenn es Unterschiede gibt, ist die Arbeit eines Parlaments im Grundsatz überall gleich.

In der jüngeren Vergangenheit wurden mit Pascal Couchepin und Ignazio Cassis zwei Fraktionspräsidenten Bundesrat. Ist das auch eine Option für dich?
Ein Blick auf die Galerie ehemaliger Fraktionspräsidenten zeigt, dass die meisten nie Bundesräte geworden sind. Die Frage stellt sich daher nicht. Wir verfügen über zwei hervorragende Bundesräte, die noch lange im Amt bleiben.

Interview: Marco Wölfli