Zu früh für ein definitives Urteil

Beim Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU sind wichtige Fragen offen. Der Gesamtbundesrat ist in der Pflicht, für Klärung zu sorgen. Erst danach ist ein definitives Urteil möglich.

Vor zwei Wochen haben sich die Schweizerinnen und Schweizer klar für die Personenfreizügigkeit ausgesprochen – den umstrittensten Teil der Bilateralen Verträge. Dieser Entscheid hat mich sehr gefreut. Er hat bestätigt, dass die Schweizerinnen und Schweizer den pragmatischen Weg zwischen Abschottung und EU-Beitritt weitergehen wollen. Ein Weg, der unserem Land Arbeitsplätze und Wohlstand gebracht hat.  

Der Gesamtbundesrat ist in der Pflicht

Nun fokussiert sich die Diskussion richtigerweise auf das Rahmenabkommen. Wir haben bei der bundesrätlichen Konsultation Anfang 2019 die Klärung der offenen Punkte bei der Unionsbürgerrichtlinie, den flankierenden Massnahmen und der Guillotineklausel gefordert. Diese Position hat sich seither nicht verändert.

Wir erwarten nun, dass die Gespräche mit der EU aufgenommen werden. In der Pflicht stehen der Gesamtbundesrat und namentlich auch die Bundespräsidentin. Die Regierung hat letztes Jahr der EU in einem Brief Klärungsbedarf angekündigt – jetzt muss sie nachfassen. Danach werden wir sehen, ob all diejenigen Verbesserungen und Präzisierungen erreicht werden konnten, welche nun im Raum stehen und die für eine Akzeptanz des Rahmenabkommens wesentlich sind.

Gelingt es dem Bundesrat, die offenen Punkte zufriedenstellend zu klären, entschärft sich auch die Souveränitätsfrage. Dies zum Beispiel mit einer belastbaren Zusage, dass die Schweiz die Unionsbürgerrichtlinie nicht integral übernehmen muss und wir die flankierenden Massnahmen ohne dynamische Anpassungen beibehalten können.

Das Rahmenabkommen nicht vorschnell totsagen

Ich finde es zum jetzigen Zeitpunkt falsch, das Rahmenabkommen definitiv totzusagen. Ja, es sind noch diverse Fragen offen, so auch bei den flankierenden Massnahmen. Doch die Gewerkschaften blockieren mit ihrer Fixierung auf die acht Tage Kontrollfrist das gesamte Dossier. In ihrem doktrinären Eifer übersehen sie, dass das Abkommen zum ersten Mal überhaupt die flankierenden Massnahmen verbrieft. Die acht Tage – eine Regelung aus den frühen Nullerjahren – lassen sich dank neuen digitalen Kommunikationsmitteln verkürzen, ohne die Wirkung abzuschwächen. Die klare Ablehnung der Begrenzungsinitiative durch die Schweizer Bevölkerung stärkt dem Bundesrat den Rücken für die Gespräche mit der EU. Die Parteien wie auch die Sozialpartner hingegen sind in der momentanen Phase Zuschauer. Ihr Stimmengewirr und die teilweise fundamentale Opposition schwächen den Bundesrat nur.

Wenn andere Bundesratsparteien und die Sozialpartner das Rahmenabkommen jetzt schon beerdigen wollen, ist das ihre Verantwortung. Die FDP hingegen steht für eine konstruktive Politik. Wir warten auf das Resultat der Gespräche und analysieren es dann eingehend. Und letztlich ist sowieso klar: Am Ende entscheiden wieder die Schweizerinnen und Schweizer an der Urne.

Von Nationalrätin Petra Gössi, Präsidentin der FDP.Die Liberalen

Petra Gössi