«Als Tessiner Politikerin braucht man klare Positionen»

Alessandra Gianella ist neue Vizepräsidentin der FDP Schweiz

Die Delegierten haben die Tessinerin Alessandra Gianella in Burgdorf zur neuen Vizepräsidentin der FDP Schweiz gewählt. Im Interview spricht Gianella über ihre Verbundenheit zu China, die Besonderheiten der Tessiner Politik und wieso sie als Staatsrätin kandidiert.

Alessandra Gianella führt seit drei Jahren die FDP-Fraktion im Tessiner Kantonsparlament.

Herzlichen Glückwunsch zur Wahl zur Vizepräsidentin. Was motiviert Sie zu diesem Amt?
Ich bin schon lange aktiv in der FDP und habe mich gerne zur Verfügung gestellt. Ich finde es wichtig, dass es in der FDP ein Bindeglied zwischen der italienischen Schweiz und der Restschweiz gibt. Manche Themen werden im Tessin zuerst aktuell, wie beispielsweise die Corona-Pandemie, aber auch Probleme mit dem Arbeitsmarkt oder der Mobilität.

Welchen Fokus möchten Sie im Präsidium einbringen?
Wir hatten zuerst die Covid-Pandemie, jetzt den Krieg in der Ukraine und eine gefährdete Energieversorgung. Das Präsidium der FDP Schweiz hat jeweils eine klare Haltung gezeigt und ich möchte an diese Arbeitsweise anknüpfen und mithelfen. Es ist wichtig, dass die FDP von Beginn weg konstruktive und innovative Lösungen aufzeigt. Das passt auch zum Geist der Schweiz.

Sie sind lange in der Tessiner Politik aktiv. Was zeichnet die Politik im Südkanton aus?
Die Tessiner Politik ist stark medial geprägt und der Fokus liegt stark auf dem Kanton. Es gibt jede Woche mindestens zwei bis drei politische Debatten im TV und viel andere Berichterstattung. Als Tessiner Politikerin ist man stark gefordert und braucht klare Positionen. Die Nähe zu Italien sorgt auch dafür, dass Themen eines Grenzkantons in die politische Agenda einfliessen.

Sie haben eine starke Verbundenheit zu China. Wie ist es dazu gekommen?
Als Teil einer Schweizer Minderheit wollte ich neben den Landessprachen und Englisch eine exotische Sprache lernen, um mir einen Wettbewerbsvorteil in der Arbeitswelt zu verschaffen. Deshalb habe ich Chinesisch gewählt, und später habe ich zwei Jahre in China studiert. Diese Zeit hat mich stark geprägt, da ich erst 19-jährig war. Ich habe die chinesische Kultur intensiv erfahren und dabei viel über China und Asien gelernt.

Was fasziniert Sie an China?
Die alte Kultur und die spannende Geschichte. Wenn man die Sprache beherrscht, hilft das, Beziehungen zu knüpfen und Einheimische besser kennenzulernen. Da China ein wichtiger Handelspartner der Schweiz ist, macht es Sinn, wenn wir China verstehen.

In den letzten Jahren hat sich die Beziehung zwischen der Schweiz und China verkompliziert. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Die Schweiz hat klare Werte, die sie auch gegenüber China vertritt. China hat sich zwar verändert, aber es ist wichtig, dass die Schweiz den Dialog weiterhin pflegt. Diplomatie braucht Dialog.

Auch mit Ihrem Unternehmen SinoCom pflegen Sie wirtschaftliche Beziehungen mit China. Wie haben Sie die Schwierigkeiten der letzten Jahre erlebt?
Die letzte zwei Jahren waren eine grosse Herausforderung. Ich versuche eine Brücke zwischen den beiden Ländern zu bilden und berate Unternehmen aus China und der Schweiz bei ihren Aktivitäten im jeweils anderen Land. Dabei ist es wichtig, dass man beide Kulturen kennt. Zuletzt war es aufgrund der Covid-Regeln schwierig, nach China zu reisen. Ich hoffe, dass es nächstes Jahr wieder einfacher wird.

Was ist bei Geschäftsbeziehungen mit China zu beachten?
Es ist eine andere Kultur. Das Individuum steht weniger im Zentrum. Der Aufbau guter persönlicher Beziehungen muss zuerst entstehen, bevor man übers Geschäft spricht. Dabei hilft es, wenn man die Sprache beherrscht.

Was ist Ihre Lieblingsstadt in China?
Das ist sicher Hangzhou, wo ich zwei Jahre gelebt habe. Aber das Spannende an China ist, dass es so gross und vielfältig ist. Es gibt grosse Unterschiede zwischen den Regionen und viele interessante Orte. Die Mehrsprachigkeit und die kulturelle Vielfalt erinnern an die Schweiz.

Im April finden im Tessin kantonale Wahlen statt und Sie kandidieren für den Staatsrat. Was hat Sie zur Kandidatur bewogen?
Ich bin nun seit zwei Legislaturen im Grossen Rat und seit drei Jahren Fraktionschefin. Die nächsten Jahre sind entscheidend für den Kanton Tessin. Wir haben gute Aussichten und in den Bereichen Innovation und Forschung bewegt sich viel. Aber das Tessin ist manchmal etwas pessimistisch, dem möchte ich als Staatsrätin entgegenwirken und optimistisch in die Zukunft gehen, mit innovativen Projekten und Investitionen.

Wie ist die FDP Tessin aufgestellt?
Die FDP hat gute Lösungen für die Herausforderungen Bildung, Umwelt und Steuerattraktivität, die das Tessin betreffen. In den letzten Jahren hat sich die Tessiner FDP stark verjüngt, das stimmt positiv. Zudem haben wir Arbeitsgruppen gebildet, in denen Fachleute ihre Expertise aus verschiedenen Bereichen einbringen und wir tragen die Positionen in die Politik. Dieser Bottom-up-Ansatz ist vielversprechend. Die FDP kann dazu als grosse Partei etwas bewirken, aber natürlich muss sie auch das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen.

Interview: Marco Wölfli

Alessandra Gianella
Alessandra Gianella (36) hat an den Universitäten Zürich und Lugano und an der Zhejiang University in Hangzhou studiert. Beruflich war sie für Adaxis Management AG und Economiesuisse tätig. Vor zwei Jahren gründete Gianella SinoCom. Für die FDP Tessin sitzt sie seit sieben Jahren im Grossen Rat und leitet seit drei Jahren die Fraktion. Gianella ist verheiratet und lebt in Lugano.

Alessandra Gianella