«Wir brauchen klare Kanten»

Der neue Parteipräsident hat mit seinem Team erste Eckpunkte definiert, wohin der Weg der FDP gehen soll. Im Interview spricht er über den Liberalismus als Verpflichtung, die Bedeutung der Kantonalparteien und was die FDP von der Schwingerfamilie lernen kann.

Thierry Burkart will die FDP mit klaren Positionen profilieren. Foto: Désirée Dittes

Am 2. Oktober wählten die die Delegierten zum Parteipräsidenten. Wie ist es dir seither ergangen?
Die letzten Wochen waren so intensiv wie spannend und es galt viele Abläufe und Zuständigkeiten kennenzulernen. Intensiv war auch die Arbeit im Team mit meinen Vizepräsidenten, die sehr gut funktioniert. Viele Leute sind mit ihren Wünschen und Erwartungen bezüglich der FDP an mich herangetreten. Diese Anliegen zu kanalisieren, ist eine Herausforderung.

Bei deiner Wahl war viel Unterstützung, aber auch grosse Erwartungen zu spüren. Bedeutet dies Druck oder ein willkommener Vertrauensvorschuss?
Ich denke, beides trifft zu. Man schenkt uns Vertrauen, adressiert aber auch klare Erwartungen. Wir wissen, was wir für die FDP erreichen wollen, nämlich den Wahlsieg 2023. Uns ist aber auch bewusst, dass wir das nicht allein schaffen. Es braucht jeden und jede in dieser Partei, von der Bundeshausfraktion über die Kantonalparteien bis hin zu den Ortsparteien. Dieses liberale Feuer zu entzünden und alle Freisinnige zu erreichen, ist mir ein grosses Anliegen.

Konntest du in deinen ersten Wochen als Parteipräsident bereits einige Pflöcke einschlagen?
Grundsätzlich schlage ich als Präsident nicht alleine Pflöcke ein. Ich kann aber, quasi als Spitze des Eisbergs Anstösse geben. Die bisherigen Tätigkeiten, die wir bearbeiten, lassen sich grob gliedern: Wir arbeiten an einer Reorganisation von Partei und Fraktion und haben einen neuen Generalsekretär und einen neuen Wahlkampfleiter gefunden. Wir beschäftigen uns ausserdem mit Umweltpolitik, zu der es einen Antrag der Parteipräsidentenkonferenz (PPK) gab. Gleichzeitig sind wir an einer Resolution zur Energiepolitik. Zudem wollen wir möglichst bald drei bis fünf Kernthemen definieren und diese entsprechend bearbeiten. Daneben war ich kommunikativ gefordert und konnte in den vielen Interviews unsere Positionen gegenüber der Konkurrenz abgrenzen. In der Covid-Thematik war es wichtig, klarzustellen, dass wir zu den aktuellen Massnahmen stehen und die Impfung der wirksamste Ausweg aus der Krise ist. Angesichts tieferer Spital-Belastung wollen wir jedoch auch eine konkrete Perspektive. Diese fordern wir vom Bundesrat.

Was sind die wichtigsten Aufgaben für die die nächsten drei Monate?
Die Festlegung der drei bis fünf Kernthemen, diese mit Inhalten füllen und schliesslich deren Umsetzung planen. Neben dieser Hauptaufgabe gilt es mit dem neuen Generalsekretär Strukturen und Abläufe festzulegen.

Was gefällt dir an der Arbeit als Parteipräsident?
Die Arbeit mit meinem Team ist wirklich sensationell und ich bin überglücklich, dass ich ihre Unterstützung habe. Daneben spüre ich eine leidenschaftliche und tolle Arbeit im Generalsekretariat sowie allgemein in der Partei Zuversicht und eine Stimmung des Aufbruchs, das freut und motiviert mich. Jetzt geht es darum, diesen Aufbruch zu vergrössern und nach aussen zu tragen. Zu guter Letzt freue ich mich, dass Einigkeit zu spüren ist. Dies ist entscheidende Voraussetzung, um bei den Wahlen 2023 zu gewinnen.

Die fehlende Einigkeit in der Partei wurde in der Vergangenheit oft beklagt. Wie stellst du sicher, dass Einigkeit auch tatsächlich gelebt wird?
Wir müssen Themen frühzeitig erkennen und mit den wesentlichen Kräften unserer Partei Positionen erarbeiten, die auf einem breiten Konsens beruhen. Das bildet eine bessere Ausgangslage als ein Verdikt, dem man sich ohne Mitwirkung zu fügen hat. Ebenso wichtig ist die Konzentration auf einige wichtige Themen. Dann ist es weniger schlimm, wenn es einmal bei nebensächlichen Themen verschiedene Meinungen gibt. Daneben braucht es auch in der parlamentarischen Arbeit viel Führungsarbeit, damit Einigkeit gewährleistet werden kann.

Innerhalb und ausserhalb der FDP haben unzählige Personen eine genaue Vorstellung, wie die FDP zu sein hat. Wie gehst du mit diesen zahlreichen und unterschiedlichsten Erwartungshaltungen um?
Wichtig ist, dass all diesen Stimmen Gehör finden und wir gleichzeitig eine klare Vorstellung haben, was wir wollen. Ich bin mir bewusst, dass man es nie allen recht machen kann. Ich höre oft den Wunsch nach einer FDP mit klaren erkennbaren Positionen. Das ist fast noch wichtiger als die Position an sich. Diesen Wunsch teile ich, aber damit lassen sich nicht alle zufrieden stellen. Wir müssen aber mit klarer Kante kommunizieren.

Zwischen 2010 und 2013 warst du Präsident der FDP Aargau. Gibt es Erfahrungen aus dieser Zeit, die dir auch jetzt nützlich sind?
Es war eine schöne Zeit mit tollen Leuten und wir wurden zweitstärkste Partei im Kanton – noch vor den Sozis! Damals habe ich gelernt, dass man als Präsident hinstehen und die eigenen Positionen mutig vertreten muss, um die Leute mitzunehmen. Es darf aber nicht ein Ego-Trip sein, sondern es braucht die Einbindung aller. Obwohl es auch im Aargau verschiedene Flügel gab, gelang uns ein einheitlicher Auftritt.

In der nationalen Politik jagen sich die Herausforderungen: Abstimmungen, Wahlen, Tagesaktualitäten und Unvorhergesehenes. Wie setzt du hierbei Prioritäten?
Das ist in der Tat anspruchsvoll. Genau deshalb braucht es in den Schwerpunkt-Themen frühzeitige Positionsbezüge, basierend auf unseren Grundwerten, die uns vereinen. Wir müssen lernen, dass wir nicht allein für die Schweiz verantwortlich sind, auch wenn wir natürlich das Beste für unser Land wollen. Wir müssen auf unseren Grundlagen politisieren und auch einmal den Mut aufbringen, uns einem Kompromiss zu entziehen, wenn er von unseren Positionen zu weit entfernt ist. Denn der Kompass ist klar und lautet liberale Politik.

Du sprichst die Verantwortung für die Schweiz an. Das wird von der FDP aufgrund der Historie oft erwartet.
Unsere Politik ist verantwortungsvoll und liberal. Die Geschichte zeigt, dass liberale Politik erfolgreich ist. Deshalb ist der Liberalismus unsere erste Verpflichtung. Wenn wir Kompromisse eingehen, die zu weit entfernt davon sind, werden wir dem Liberalismus untreu, verlieren an Kontur und die Wählerinnen und Wähler verlieren das Interesse. Wenn ich mich zwischen einem langsamen Sterben in Schönheit und einer erfolgreicheren liberalen Partei entscheiden muss, wähle ich definitiv Zweiteres.

Oft wird lieber über die Schwächen der FDP diskutiert. Wo siehst du aktuell die Stärken der Partei?
Unser Problem ist, dass wir selbst zu oft über unsere Schwächen reden. Dabei müssen wir vermehrt darüber reden, was uns stark macht und verbindet. Nämlich das liberale Wertefundament, das so aktuell ist wie seit eh und je. Eigenständigkeit und Verantwortung für sich selbst und die Gesellschaft sind zeitlos und dafür stehen wir ein. Ebenso für technologischen Fortschritt und Innovation. Wer, wenn nicht wir kann das gewährleisten? Wenn wir diese Positionen klar vertreten, eint uns das und hebt unsere Stärken hervor. Gerade weil unsere freisinnigen Überzeugungen zeitlos sind, sind wir keine Modepartei. Eine andere grosse Stärke sind die hervorragenden Köpfe in unserer Partei, die schweizweit innovative und vernunftbasierte Ideen einbringen.

Was muss sich noch verbessern?
Wir haben eine Schwäche, die zugleich unsere Stärke ist. Die Vielfalt in unserer Partei bringt sehr viele interessante Menschen auf dem liberalen Fundament zusammen. Gleichzeitig ist es eine Schwäche, weil wir zu wenig gut erkennbar sind. Deshalb brauchen wird den Mut, uns auf einen gemeinsamen Weg zu einigen, hinter dem alle stehen und für welchen alle zusammen kämpfen.

Die Kantonalparteien spielen eine wichtige Rolle für die FDP. Wie bindest du sie in deine Strategie ein?
Ich würde noch weitergehen und sagen, in den Kantonalparteien findet die wichtigste Arbeit statt. Die FDP Schweiz ist ohne die Kantonalparteien eine luftleere Hülse. Dort werden Wahlen gewonnen und verloren, und dort findet der Kontakt zu den Bürgerinnen und Bürgern statt. Diese wichtigste Ebene will ich insbesondere über das Gremium der PPK mitnehmen. Auch bei der Erarbeitung von Positionen will ich sie stärker einbinden und natürlich im Hinblick auf den Wahlkampf.

Du besuchst gerne Schwingfeste und organisierst sie auch. Lässt sich der Schwingsport mit der FDP vergleichen?
Der Schwingsport hat der FDP etwas voraus: Im Sägemehl wird zwar hart gekämpft, doch innerhalb der Schwingerfamilie, zwischen Sportler und Publikum, herrscht ein enger Zusammenhalt. Dieses Wir-Gefühl und die Freude an diesen Festen sind allgegenwärtig. Für die FDP wünsche ich mir, dass wir unseren Sinn nicht nur über einzelne Positionen und politische Kämpfe finden, sondern auch Freude am gemeinsamen Politisieren zeigen. Es braucht die Freude am gemeinsamen Austausch und Stolz, dass wir Freisinnige sind.

Hast du einen Lieblingsschwinger?
Die Aargauer liegen mir natürlich alle am Herzen, aber an Nick Alpiger habe ich besonders Freude.

Interview: Marco Wölfli