Verantwortung statt Überregulierung und Zentralismus

 

geschrieben von Karin Keller-Sutter, Ständerätin SG

Die Finanz- und Schuldenkrise in Europa sowie das Gebaren gewisser Manager haben den Glauben an staatliche Regulierungen, die nur vordergründig Sicherheit schaffen, erhöht. Es besteht die Tendenz, jedes wirtschaftliche und gesellschaftliche Problem über die Gesetzgebung lösen zu wollen. Diese drohende Überregulierung bedroht die Attraktivität unseres Wirtschaftsstandortes und damit unsere Arbeitsplätze.

 

 

Wir sind daran, unsere Stärken preis zu geben. So nimmt z.B. die sogenannte Minder-Initiative ein berechtigtes Anliegen und einen Missstand auf. Wollen wir aber aufgrund einiger weniger Manager, die Mass und Moral verloren haben, massive Beeinträchtigungen für unsere KMU und den Wirtschaftsstandort Schweiz in Kauf nehmen? Oder nehmen wir die 1:12-Initiative der Jungsozialisten, die in der Bundesverfassung verankern will, dass der höchste Lohn in einem Betrieb nicht mehr als 12 Mal mehr betragen darf als der tiefste. Ist es wirklich Sache des Staates, den Maximallohn eines privatrechtlich angestellten Geschäftsführers zu fixieren? Ich meine nein. Die Exzesse der Finanzbranche schlagen auch auf andere Rechtsbereiche durch, in denen wir drauf und dran sind, unsere Wettbewerbsvorteile selbst aufzugeben. So wird der Ständerat in der laufenden Herbstsession die sogenannte Subunternehmerhaftung beraten. Auch in diesem Bereich gibt es zugegebenermassen Missbräuche. Unternehmen, die Aufträge an Subunternehmen weitergeben sollen demnach dann haftbar gemacht werden, wenn die Subunternehmen die geltenden minimalen Arbeits- und Lohnstandards missachten. Wenn der Generalunternehmer nun für alle Subunternehmen in arbeitsrechtlicher Hinsicht haften soll, ist dies nicht nur ein grundlegender Bruch der schweizerischen Rechtsordnung, sondern führt auch zu mehr Bürokratie und zum Risiko, dass gar keine Aufträge mehr weiter vergeben werden.

Diese Entwicklungen widersprechen der liberalen Tradition unseres Landes. Ein liberaler Staat bedeutet nicht schrankenlose Freiheit, Rücksichtslosigkeit oder gar Egoismus. Im Gegenteil. Er gewährt seinen Bürgerinnen und Bürgern wie auch den Unternehmen einen möglichst grossen Entscheid- und Gestaltungsspielraum und erwartet im Gegenzug eigenverantwortliches und vernünftiges Handeln. Zur Eigenverantwortung gehört im helvetischen Milizsystem gelebte Solidarität und der Einsatz für das Gemeinwohl.

Auch auf institutioneller Ebene sind Freiheit und Verantwortung untrennbar. Je grösser die Freiheit, desto grösser die Verantwortung. Das ist der Gedanke, der unserem föderalistischen und subsidiären System zugrunde liegt. Diese Prinzipien sind weder Folklore noch Ausdruck einer rückständigen Berglermentalität. Im Gegenteil: sie finden gerade in jüngster Zeit auch international Beachtung. Als ehemaliges Mitglied einer kantonalen Regierung weiss ich um die Bedeutung des Föderalismus für unser Land. Damit meine ich nicht einen überholten „Kantönligeist“ und ein überzogenes Gärtchendenken in Kantonen und Gemeinden, sondern das Bewusstsein, dass unser Land von unten nach oben gewachsen ist. Jeder kommt so weit wie möglich für seine eigenen Kosten auf. Die Entscheidungsgewalt auf tiefst möglicher Stufe anzusiedeln, führt zu kostengünstigen und unbürokratischen Lösungen und grösserer Bürgerzufriedenheit. Auf Bundesebene – selbst im Ständerat – herrscht jedoch zunehmend die Überzeugung, gute Lösungen seien zentralistische Lösungen. Unter dem Deckmantel von Koordination und Harmonisierung versucht man in allen Lebensbereichen, einheitliche und zentralistische Regeln vorzugeben. Es versteht sich von selbst, dass auch deren Einhaltung zentral kontrolliert werden soll. Dies hat meist missionarische oder auch ideologische Züge, die uns Schweizerinnen und Schweizern eigentlich fremd sind. Begünstigt wird diese Entwicklung oft durch Einzelereignisse, die in den Medien zu nationalen Katastrophen oder Missständen hochstilisiert werden.

So sieht das Verkehrssicherheitsprogramm Via Sicura beispielsweise vor, dass der Bund neu für die Sicherheit von Fussgängerstreifen zuständig ist. Und am 23. September stehen gleich zwei Volksabstimmungen an, in denen das Volk darüber entscheiden kann, ob es den Kantonen ihre Kompetenzen belassen will oder nicht. So sollen gemäss Gegenvorschlag zur sogenannten „Jugendmusik-Initiative“ die Kantone zur Harmonisierung des Musikunterrichts verpflichtet werden können. Dass der Musikunterricht wertvoll ist, bestreitet wohl niemand. Sollen die Kantone aber per Bundesverfassung in einem einzigen Fach zur Harmonisierung verpflichtet werden? Oder nehmen wir die Initiative zum Schutz vor Passivrauchen. Auch hier bestreitet wohl niemand, dass der Schutz der Menschen vor Passivrauchen erwünscht ist. Und die meisten unter uns dürften sich wohl darüber freuen, dass das Rauchen in öffentlichen Räumen nicht mehr gestattet ist, und zwar schweizweit. Stinkende Kleider sind passé. Ist es aber richtig, den Kantonen ihren letzten Handlungsspielraum zu nehmen? Und soll das Rauchen auch in Einzelbüros verboten werden? Muss der Staat den Bürger auch noch vor sich selbst schützen?

Es ist an den liberalen Kräften in der Schweiz, diesen Fehlentwicklungen entgegen zu treten und konsequent für Freiheit und Eigenverantwortung einzutreten. Wenn wir es nicht können, wer dann?