Keine Lotterie beim Bundesgericht

Bundesrätin Karin Keller-Sutter setzt sich für ein Nein zur Justizinitiative ein. Für sie ist klar, dass die richterliche Unabhängigkeit in der Schweiz gewährleistet ist.

Bundesrätin Karin Keller-Sutter referierte in Biel zur Justiz-Initiative. Foto: Désirée Dittes

Am 28. November stimmen wir über die Justiz-Initiative ab. Ist die Unabhängigkeit der Schweizer Justiz mit dem aktuellen System gefährdet?
Im Gegenteil, das jetzige System funktioniert gut. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist von der Bundesverfassung geschützt. Es gibt keine Hinweise, dass die Richterinnen und Richter nicht unabhängig urteilen würden. Dafür spricht auch das grosse Vertrauen, das die Bevölkerung den Gerichten entgegenbringt. In der jährlich publizierten Studie der ETH Zürich und des Center for Security Studies sowie beim Sorgenbarometer liegen die Gerichte jeweils auf den vordersten Rängen. Das Vertrauen wäre nicht so gross, wenn die Richterinnen und Richter als blosse Parteisoldaten wahrgenommen würden.

Sind Bundesrichterinnen und Bundesrichter in der Schweiz zu stark von den Parteien abhängig?
Bundesrichter und Bundesrichterinnen sind nur dem Recht verpflichtet. Das Vertrauen der Bevölkerung und die hohe Akzeptanz der Urteile belegen, dass das nicht nur Theorie ist. Auch das Parlament hat eine hohe Sensibilität für Druckversuche durch die Parteien: Als die SVP ihren Bundesrichter Yves Donzallaz letztes Jahr zur Abwahl empfahl, erzielte er bei seiner Wiederwahl das bessere Resultat als bei seiner ersten Wahl. Dass Richterinnen und Richter Mitglied einer Partei sein müssen, ist im Übrigen nicht gesetzlich vorgeschrieben. Es ist eine Tradition, die daher rührt, dass man möglichst alle Werthaltungen, Weltanschauungen und politischen Strömungen in der Bevölkerung auch an den Gerichten abbilden will. Die Gerichtskommission hat signalisiert, dass sie auch Kandidaturen von Parteilosen prüfen will.

Was würde eine Annahme der Justiz-Initiative für die Schweiz bedeuten?
Bundesrichterinnen und Bundesrichter würden künftig nicht mehr in einem transparenten und demokratischen Verfahren durch die Bundesversammlung gewählt, sondern durch das Los bestimmt. Ihre Wahl würde damit dem Zufall überlassen. Vorab würden die Kandidierenden von einer Expertenkommission auf ihre fachliche und persönliche Eignung hin überprüft. Diese Expertenkommission wiederum würde durch den Bundesrat bestimmt. Das bedeutet eine Machtverschiebung weg vom Parlament hin zum Bundesrat und einem Expertengremium.

Warum hat sich der Bundesrat gegen einen Gegenvorschlag entschieden?
Es ist schwierig, einen Gegenvorschlag zu einer Initiative zu entwerfen, deren Kern man nicht teilt. Der Kern der Justizinitiative ist nun einmal das Losverfahren. Es kann nicht sein, dass wir die Richterinnen und Richter unseres obersten Gerichts auslosen. So kommen nicht mehr die Fähigsten ins Amt, sondern jene, die am meisten Glück haben. Das schwächt die demokratische Legitimation des Bundesgerichts und damit auch die Akzeptanz der Urteile. Das Losverfahren wäre ein Fremdkörper im institutionellen Gefüge der Schweiz. In unserem System kommt das Los ausnahmsweise zum Einsatz, etwa wenn eine demokratische Personenwahl am Stimmengleichstand scheitert. Es ist sozusagen eine Notlösung.

Wieso ist aus Ihrer Sicht die Bundesversammlung das richtige Wahlgremium?
Die Wahl durch die Bundesversammlung führt zu einem demokratisch legitimierten Resultat und zu einer transparenten und repräsentativen Zusammensetzung des höchsten Gerichts. Mit dem aktuellen Wahlsystem ist es auch möglich, Kriterien wie Geschlecht, Sprache und regionale Herkunft zu berücksichtigen. Die Justiz-Initiative schreibt lediglich die ausgewogene Vertretung der Amtssprachen vor. Zudem besteht mit dem Losverfahren das Risiko, dass gewisse Parteien, Werthaltungen, Landesteile oder ein Geschlecht am Bundesgericht über längere Zeit stark über- oder untervertreten sind.

Unabhängig von der Justiz-Initiative: Gibt es Bestrebungen die Unabhängigkeit der Bundesrichterinnen und Bundesrichter noch stärker sicherzustellen?
Der Bundesrat hat immer gesagt, dass man über gewisse Reformen diskutieren kann. Man darf aber nicht vergessen, dass alle Ansätze in den letzten Jahren politisch chancenlos waren. Aber die Diskussion im Parlament ist im Gang, zum Beispiel über die Zulassung von Parteilosen oder über die Abschaffung der Abgabe an die Parteien, die Nationalrat Beat Walti angeregt hat.

Die Initianten propagieren das Losverfahren. Wenn es nicht um Justiz-Posten geht: Mögen Sie Lotto-Ziehungen oder Tombolas?
Ich spiele nicht. Bei Tombolas mache ich jeweils dann mit, wenn es um einen karitativen Zweck geht.

 

Mehr Informationen zur Justiz-Initiative finden Sie hier: https://www.fdp.ch/kampagnen/justizinitiative

Karin Keller Sutter