Hans Hess zum Rahmenabkommen

Für die Schweizer Wirtschaft ist das Rahmenabkommen von grosser Bedeutung. Hans Hess, Präsident des Industrieverbandes Swissmem, äussert sich im Interview über den Wert der Bilateralen, nötige Klärungen und den Mehrwert des Rahmenabkommens für die Bevölkerung.   

Herr Hess, der Schweizer Wirtschaft geht es heute gut. Und morgen?

Das hängt wesentlich davon ab, ob in der Schweiz die bisher guten wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen bestehen bleiben. Die Schweizer Unternehmen haben in der Vergangenheit stets die richtigen Antworten auf konjunkturelle Schwankungen oder technologische Herausforderungen gefunden. Das wird auch künftig so sein. Die Rahmenbedingungen entscheiden jedoch darüber, ob die Unternehmen die jeweils notwendigen Massnahmen in der Schweiz umsetzen oder im Ausland. Letzteres gilt es zu verhindern. Und da ist die Politik gefordert.   

Sie haben sich für das Rahmenabkommen stark gemacht. Warum? 

Mit dem bilateralen Weg hat die Schweiz im Verhältnis zur EU die bestmögliche Lösung gefunden. Er wurde mehrmals vom Volk in Abstimmungen gestützt und ist weiterhin der einzig mehrheitsfähige Weg. Das institutionelle Abkommen eröffnet der Schweiz die Chance, diesen bilateralen Weg auf eine langfristig tragfähige Basis zu stellen und den privilegierten Zugang zum EU-Binnenmarkt zu sichern. Das war, ist und bleibt das Hauptziel. Zudem schafft es Rechtssicherheit, ermöglicht den Abschluss neuer Abkommen, bewahrt die schweizerische Souveränität und bringt einen funktionierenden Streitbeilegungsmechanismus. 

Wären diese Vorteile nicht auch ohne Rahmenabkommen zu haben? 

Die Frage ist hier: Was wären die Alternativen? Eine noch stärkere Integration mittels EWR- oder sogar EU-Beitritt kommt für mich nicht in Frage und wäre auch nicht mehrheitsfähig. Ohne institutionelles Abkommen wird sich der Marktzugang zum wichtigsten Absatzmarkt verschlechtern, weil die EU nicht mehr bereit ist, die bestehenden Marktzugangsabkommen zu aktualisieren. Mittelfristig drohen so die Wirtschaftsbeziehungen zur EU auf das Niveau des veralteten Freihandelsabkommens von 1972 zurückzufallen. Auch das ist keine Option. Es ist deshalb unsere grosse Verantwortung, den erfolgreichen und massgeschneiderten bilateralen Weg für die Zukunft zu sichern und weiterzuentwickeln. Dafür braucht es das institutionelle Abkommen. Und zwar jetzt.

Sind Nachverhandlungen nötig?

Die EU hat mehrmals betont, dass es keine Nachverhandlungen geben wird. Es braucht aber eine Handvoll Klärungen. Solche Klärungen sind laut EU-Kommission möglich. Aus meiner Sicht betrifft dies folgende Punkte: Erstens muss die EU zusichern, dass die Schweizer Lohnkontrollen der Sozialpartner nicht durch das EU-Entsenderecht und die Durchsetzungsrichtlinie beeinträchtigt werden. Zweitens muss sichergestellt werden, dass bei der Unionsbürgerrichtlinie maximal die Bestimmungen mit konkretem Bezug zum Arbeitsmarkt übernommen werden müssen. Und schliesslich soll bei den staatlichen Beihilfen die auch für Unternehmen wichtige Steuerhoheit der Kantone sowie der Schweiz nicht beschränkt werden.

Was hätte denn die breite Bevölkerung von einem Rahmenabkommen? 

Mit einem Ja zum Rahmenabkommen schüfe das Volk die Voraussetzungen dafür, dass die Schweiz ein attraktiver Wirtschaftsstandort bleibt. Im Gegenzug erhielte das Volk Investitionen in den hiesigen Standort, sicherere Arbeitsplätze, Wohlstand und somit auch genügend Mittel für die Sozialwerke, Bildung, öffentliche Einrichtungen sowie die Bewahrung der Umwelt. Das Erfolgsmodell Schweiz fände seine Fortsetzung. So können wir gemeinsam weiterkommen.  

Kritiker werfen der Wirtschaft vor, sich zunehmend von der Gesellschaft zu entfernen. 

Das ist wohl eine Frage der Wahrnehmung. Die Beschäftigung in der Schweiz ist so hoch wie in kaum einem anderen Land. Alle diese Menschen sind Teil der Wirtschaft und erleben sie täglich hautnah. In den Betrieben erlebe ich eine hohe Identifikation und ein grosses Engagement der Mitarbeitenden. Die gefühlte Entfernung bildet sich vor allem rund um Gehaltsexzesse und derzeit wohl auch beim Klimaschutz. Ersteres habe ich stets kritisiert. Die schlimmsten Exzesse sind zwar Geschichte. Dennoch täte eine gewisse Selbstbeschränkung nach wie vor gut. Beim Klimaschutz ist es der Wirtschaft hingegen noch nicht gelungen, aufzuzeigen, dass sie schon sehr viel getan hat. So haben beispielsweise die Swissmem-Mitgliedfirmen ihren CO2-Ausstoss seit 1990 um 60 Prozent reduziert. Hier muss die Wirtschaft aktiver kommunizieren. Gleichzeitig müssen wir zusammen mit der Politik wirksame und wirtschaftsverträgliche Lösungen finden.