Ausschaffungsinitiative kontra Gegenentwurf

 

Streitgespräch zwischen Rolf Büttiker (Ständerat FDP) und Maximilian Reimann (Ständerat SVP)

Am 28. November entscheidet das Schweizer Stimmvolk über die Ausschaffungsinitiative, den Gegenentwurf und über die Stichfrage. Das Kreuz bei der Stichfrage ist wichtig, denn wenn beide Vorlagen angenommen werden, muss der Bund wissen, welcher Vorlage das Stimmvolk den Vorzug gibt. In einem Streitgespräch diskutieren der Solothurner FDP-Ständerat Rolf Büttiker und der Aargauer SVP-Ständerat Maximilian Reimann über die Vorlagen ihrer Parteien.

 

 

 

Schweizer Freisinn: Herr Reimann, sind Sie der Meinung, dass Zugezogene, die wegen schwerer Körperverletzung verurteilt werden, nicht ausgeschafft werden sollen?

 

Reimann: Selbstverständlich nicht. Unser Fragekatalog ist nicht abschliessend, sondern soll im Parlament ergänzt werden. Da die Diskussion im Abstimmungskampf ergeben hat, dass der Deliktkatalog tatsächlich ergänzt werden muss, wird das der Gesetzgeber machen. Wir werden Hand bieten dafür. Wir erwarten von der FDP, dass sie uns – nach geschlagener und von uns gewonnener „Schlacht“ - im Parlament bei der Ergänzung unterstützt und sich nicht aus Trotz über den verlorenen Abstimmungskampf unkooperativ verhält.

 

Büttiker: Ich sehe das etwas anders. Sonst sagt die SVP immer, man soll Klarheit schaffen. Mit der Berücksichtigung des Strafmasses im Gegenentwurf wird Klarheit geschaffen. Der Deliktkatalog der SVP ist absolut unvollständig und willkürlich. Es liegt auf der Hand, dass die SVP nicht sorgfältig gearbeitet hat. Der ganze Initiativtext ist schnoddrig, unvollständig formuliert und wirft Fragezeichen auf. Dieser Pfusch soll dann das Parlament ausbaden.

 

Integration als Knackpunkt

 

Reimann: Darf ich ergänzen? Was den Ausweisungsteil betrifft, sind wir nicht weit weg voneinander. Der Hauptgrund, warum wir den Gegenentwurf bekämpfen, ist der Integrationsartikel. Man hat diesen Artikel über die Köpfe der Kantone hinweg beschlossen. Er bringt ihnen viele Integrationsverpflichtungen, die hohe Kosten verursachen. So kann man mit den Kantonen nicht umgehen.

 

Büttiker: Integration ist in erster Linie eine Bringschuld, deshalb stehen wir dahinter, dass Integration in der Verfassung verankert wird. Zuerst wird also gefordert und erst dann gefördert. Das Budget für die Integration wird auch mit der Annahme des Gegenentwurfs wie bis anhing vom Parlament beschlossen. Das war nie anders. Übrigens stimmt auch die Behauptung der SVP nicht, dass Ausländer klagen könnten, sie seien zu wenig integriert worden. Der Integrationsartikel ist als Verfassungsauftrag formuliert und ist deshalb nicht klagbar.

 

Was halten Sie von der SVP-Kampagne „Mörder bald Schweizer“, in welcher unzulässige Aussagen gemacht werden, die nichts miteinander zu tun haben?

 

Reimann: Man muss plakativ sein im Abstimmungskampf. Zentral ist für mich dabei eher die Einreisesperre von 5 Jahren, welche die Ausschaffungsinitiative verlangt. Beim Gegenentwurf kann ein Krimineller nach kurzer Zeit wieder in die Schweiz zurückkehren und allenfalls relativ schnell um Einbürgerung nachsuchen.

 

Büttiker: Dem muss ich klar widersprechen. Gerade die Einreisesperre ist ein weiterer Vorteil des Gegenentwurfs. Dieser sieht gar die unbefristete Ausweisung vor. Nun zur Kampagne. Die Kampagne vermischt erstens Integration mit Einbürgerung, was nichts miteinander zu tun hat, denn nur weil jemand integriert ist, wird er noch lange nicht eingebürgert. Die zweite unzulässige Aussage ist, dass Mörder oder Vergewaltiger bald Schweizer sein sollen. Die SVP konnte bisher keinen einzigen Fall nennen, in dem eine solche Person integriert, geschweige denn eingebürgert wurde. Integrationsmassnahmen sind dazu da, Zugewanderte präventiv zu integrieren, damit sie eben nicht kriminell werden.

 

Die Bilateralen Verträge sind nicht mit der Ausschaffungsinitiative vereinbar, das beweist ein unabhängiges Rechtsgutachten von Prof. Dr. iur. Jaag, Professor an der Universität Zürich. Gibt Ihnen das nicht zu denken?

 

Reimann: Nein, das ist meines Erachtens ein Gefälligkeitsgutachten. Ich bringe Ihnen jederzeit einen Gutachter, der zum gegenteiligen Ergebnis kommt. Bisherige Abstimmungen, wie die Minarett-Abstimmung hatten übrigens auch keine Konsequenzen. Und Sarkozy, der schafft sogar Rumänen aus, die an nicht einmal straffällig geworden sind.

Rechtsgutachten zeigt die Gefahr auf

 

Büttiker: Das stimmt nicht. Erstens wurde das Rechtsgutachten unabhängig und unentgeltlich verfasst. Zweitens wurde Sarkozy, wie bisher alle Mitgliedstaaten, von der EU zurückgepfiffen. Frankreich konnte eine EU-Klage nur durch die Vorlegung und Einhaltung eines Zeit- und Massnahmenplans für die korrekte Umsetzung der EU-Richtlinien abwenden. Die Personenfreizügigkeit ist ein Grundpfeiler der EU. Was sie bei den eigenen Mitgliedstaaten nicht toleriert, wird sie noch viel weniger bei der Schweiz dulden. Die Versuchung wird gross sein, bei der Schweiz ein Exempel zu statuieren. So könnte die EU die Personenfreizügigkeit aufkündigen, womit wegen der Guillotine Klausel alle 1999 abgeschlossenen Abkommen hinfällig würden. Der bilaterale Weg wäre am Ende. Selbst ohne Kündigung durch die EU wären Gegenmassnahmen in anderen Bereichen, z.B. beim Steuerstreit, zu erwarten, wie Alt-Botschafter Christian Blickenstorfer ausführt.

 

Vorgestern wurde das Raserurteil von Schönenwerd gefällt. Dieses hat gezeigt, dass mit dem Gegenentwurf die Mitraser ausgeschafft werden können, mit der Initiative nicht.

 

Reimann: Der Strafkatalog ist ein Auftrag ans Parlament, dieses soll den Strafkatalog so ergänzen, dass er umfassend ist.

 

Büttiker: Genau mit dem Raserurteil sieht man den Schwachpunkt der Ausschaffungsinitiative. Mit dem Gegenentwurf kann ab 2 Jahren Gefängnisstrafe unabhängig von der Tat ausgeschafft werden. Der Gegenentwurf ist eine wirksame, pfannenfertige Lösung, die direkt angewendet werden kann.

 

Tabelle Ausschaffungen im Quervergleich

(Quelle: «NZZ vom 3. November 2010»)