Die Schweizer Energiepolitik steht an einem Wendepunkt. Grosse Herausforderungen aufgrund von politischen Entscheiden und Entwicklungen im In- und Ausland gilt es möglichst rasch zu meistern. Bereits ab 2025 besteht aufgrund der ungewissen Ausgangslage in Bezug auf die künftige Integration der Schweiz im europäischen Strommarkt ein Risiko für anhaltende Stromlücken. Denn während die EU den Strombinnenmarkt seit Jahren weiterentwickelt, kann die Schweiz nicht mitwirken. Dieser Umstand hat negative Auswirkungen auf unsere Netzstabilität und die Versorgungssicherheit. 

In einem Worst-Case-Szenario könnte es während Wochen oder Monaten mehrfach zu grossflächigen Abschaltungen, Stromrationierungen und lokalen Blackouts kommen. Die Folgen und Kosten für Gesellschaft und Wirtschaft in einem solchen Fall werden auf mehr als 100 Milliarden Franken geschätzt. Mittel- bis langfristig stellen sich diverse Fragen bezüglich unserer Stromversorgungssicherheit. Grund dafür ist die unsichere Ausgangslage nach dem Entscheid des Stimmvolkes für einen KKW-Ausstieg und dem zu langsamen Ausbau der erneuerbaren Energien. Hinzu kommt, dass der Stromverbrauch bis 2050 deutlich steigt. Aktuellen Schätzungen zufolge benötigen wir bis 2050 rund 30 bis 50 Prozent mehr Strom, damit das Ziel der Dekarbonisierung unserer Gesellschaft und Wirtschaft erreicht wird. Um die Klimaziele nicht zu gefährden, muss der zusätzliche Strom weiterhin möglichst CO2-neutral produziert werden.

Ziele der FDP
Zur Lösung dieser Problemstellung braucht es in erster Linie keine Panik oder zusätzliche Polemik, sondern Pragmatismus und vorausschauendes Handeln. Darum sind weder die Rezepte von Rot-Grün, die primär Verzicht und mehr Subventionen fordern, noch die Rezepte der SVP, die die Autarkie zum Ziel hat, eine Lösung.

Die FDP will kein unrealistisches, ideologisches Programm, sondern eine pragmatische Lösung präsentieren, die unsere Versorgungssicherheit gewährleistet und unsere Lebensqualität sicherstellt. Das erreichen wir durch die Stärkung der inländischen Stromproduktion im Sinne der Eigenversorgung in Kombination mit der vollständigen Einbindung in den europäischen Strommarkt. Diese Lösungen müssen im Einklang mit den Schweizer Klimazielen stehen und unsere Wirtschaft fit für die Zukunft machen.

Lösungen der FDP
Damit das oben genannte Ziel erreicht werden kann, schlägt die FDP Schweiz ein Paket von kurz- bis langfristigen Massnahmen vor, das primär auf marktwirtschaftliche Instrumente, Technologieneutralität und Innovation setzt.

Kurzfristige Massnahmen

Gesicherte Integration im europäische Strommarkt:

Die nationale Übertragungsnetzbetreiberin Swissgrid muss zusammen mit den zuständigen Behörden (unter anderem dem Bundesamt für Energie) möglichst rasch die Voraussetzung schaffen, damit die Schweiz auf technischer Ebene auch ab 2025 im europäischen Stromhandel integriert bleibt. Das ist unabhängig von einem Stromabkommen zu verfolgen, weil es aufgrund der grossen Gefahren im Bereich der Netzstabilität und der kurzfristigen Versorgung rasch Lösungen für den grenzüberschreitenden Austausch von Energie benötigt. Es ist zentral, dass die Schweiz weiterhin als möglichst gleichwertiges Mitglied im europäischen Stromverbund wahrgenommen wird (Marktkopplung).

Nationale Worst-Case-Planung

Der Bundesrat muss die Schweiz für das Worst-Case-Szenario einer Strommangellage oder eines Blackouts vorbereiten. Zur Verhinderung von Stromausfällen hat der Bundesrat dafür zu sorgen, umgehend Kraftwerkskapazitäten im Inland aufzubauen, welche die Stromversorgung zu jeder Zeit gewährleisten können. Mögliche Lösungen wären der Bau von Spitzenlast-Gaskraftwerken oder von dezentralen Wärme-Kraft-Koppelungs-Anlagen (WKK), die neben Strom auch Abwärme liefern. Beide Optionen müssten, wenn immer möglich, mit CO2-neutralen Brennstoffen betrieben (Biogas oder synthetische Brennstoffe). Falls das nicht möglich ist, muss der CO2-Ausstoss anderweitig kompensiert werden. Damit sind sie auch mit der Forderung einer möglichst CO2-neutralen Stromversorgung vereinbar.

Beschleunigung des Ausbaus von Erneuerbaren

Erst kürzlich hat das Parlament den Grundstein dafür gelegt, dass bei der Förderung der erneuerbaren Energien keine Lücke entsteht und das Fördersystem effizienter wird. So konnte Planungs- und Rechtssicherheit geschaffen werden. Das war richtig und muss aber auch dazu beitragen, dass die bereits angestossene Beschleunigung beim Ausbau der Erneuerbaren vor allem im Bereich Photovoltaik (PV) weitergetragen wird. Dazu braucht es verbindliche Zielsetzungen sowie die Vorbildfunktion des Bundes. Zudem muss in der Raumplanung dafür gesorgt werden, dass  PV-Anlagen vermehrt und einfacher auf Infrastrukturanlagen (Lärmschutzwände, Überdachungen von Parkplätzen etc.) sowie auf Freiflächen gebaut werden können.

Erhöhung der Effizienz

Es braucht mehr Anstrengungen, um die Effizienz des heutigen Energieverbrauchs zu verbessern. Das kann unter anderem über finanzielle Anreize zur Beschleunigung des Ersatzes von Elektrowiderstandsheizungen oder durch intelligente, gezielte Steuerung von Geräten / Systemen (Demand Side Management) erreicht werden. Bei solchen Betriebsoptimierungen besteht ein grosses Potenzial, um unter anderem kurzfristig eine mögliche Stromknappheit zu umgehen und langfristig den Stromverbrauch zu senken. Ebenfalls deutliches Verbesserungspotenzial besteht bei den Gebäuden dank dem Einsatz von intelligenter Gebäudetechnik. Dafür benötigt es zudem eine Erhöhung der Sanierungsquote über einen Massnahmenmix zum Beispiel aus steuerlichen Anreizen oder der Weiterentwicklung des Gebäudeprogramms.

Vollständige Strommarktöffnung

Die vollständige Strommarktöffnung ist eine zwingende Notwendigkeit, um überhaupt ein Stromabkommen mit der EU abzuschliessen und muss darum rasch umgesetzt werden. Zudem ist sie die Basis für neue, innovative Modelle zugunsten von mehr Wettbewerb im Strommarkt. Bisher sind davon Kleinkonsumenten (mit einem Verbrauch von weniger als 100 MWh/Jahr) ausgeschlossen, was die Innovation in der Strombranche lähmt. Mehr Markt und Wettbewerb braucht es nicht nur bei der Wahl des Stromanbieters, sondern auch zugunsten von Verbrauchsgemeinschaften, was über eine vollständige Liberalisierung der tiefsten Netzebene (Ebene 7) erreicht werden könnte.

Förderung der Transparenz

Erstellung einer einfach nachvollziehbaren Informationsplattform zur aktuellen Strom- und Energieversorgung der Schweiz und zu möglichen Stromknappheiten, damit die Bevölkerung und Wirtschaft jederzeit über den aktuellen Stand informiert sind.

Mittel- und langfristige Massnahmen

Sicherung der bestehenden Kraftwerkskapazitäten

Neben dem mit der Energiestrategie 2050 (ES 2050) geplanten Ausbau der erneuerbaren Stromproduktionskapazitäten darf der Erhalt der bestehenden Kraftwerkskapazitäten nicht vergessen werden. Denn sie sind das Rückgrat einer sicheren Stromversorgung. Die Schweiz besitzt einen fast CO2-neutralen Strommix aus Wasserkraft, Kernkraft und neuen Erneuerbaren, den es zu erhalten gilt. Konkret braucht es dafür attraktive Rahmenbedingungen für Investitionen in bestehende Wasserkraftwerke (Anpassung an neue Ausgangslagen wie Gletscherrückgänge, Erhöhung der Kraftwerkskapazitäten etc.). Um auch mittelfristig und vor allem in den Wintermonaten eine sichere Stromversorgung zu garantieren, müssen die bestehenden Kernkraftwerke (KKW) so lange betrieben werden können, wie sie sicher sind. Darüber hinaus gilt es das Potenzial der bestehenden KKW (Abwärme etc.) besser zu nutzen.

Technologieneutralität bei der einheimischen Stromproduktion

Beim Ausbau und Ersatz bestehender einheimischer Produktionsanlagen darf es keine gesetzlichen Technologieverbote geben, um einen stabilen Energiemix für kommende Generationen zu garantieren. Es sind deshalb die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen, damit langfristig und bei Bedarf auch eine neue Generation der Kernkraft-Technologie ihren Beitrag an die Versorgungssicherheit leisten könnte, sofern die Sicherheit jederzeit gewährleistet werden kann.

Neue Marktmodelle zugunsten der nationalen Stromproduktion

Klassische Fördermodelle, wie sie nach der ES 2050 erst kürzlich im Parlament erneut verlängert wurden, müssen bald der Vergangenheit angehören. Der neue Mantelerlass, dessen Beratung im Parlament bereits begonnen hat, muss genutzt werden, um neue Marktmodelle zugunsten der eigenständigen Stromversorgung bzw. -produktion einzuführen. Diese müssen die klassischen Fördermodelle ablösen und auf marktwirtschaftliche, technologieneutrale Modelle setzen (zum Beispiel Ausbau der neu eingeführten Auktionsmodelle).

Speicher für kritische Wintermonate

Ein besonderes Augenmerk gilt es auf die Stromproduktion in den kritischen Wintermonaten zu legen. Dazu braucht es gezielte Anreize im Bereich der Speicherung zum Beispiel für Pumpspeicherwasserkraft, damit sie Kapazitäten für die kritischen Phasen im Winter vorhalten (im Sinne einer strategischen Reservekapazität mit entsprechender Abgeltung). Im Kontext solcher Reserven muss auch die zunehmende Verknüpfung der Sektoren Strom, Wärme und Mobilität (Sektorenkopplung) sowie die Konvergenz von Strom-, Gas- und Wärmenetzen in die Überlegungen miteinbezogen werden.

Beschleunigung der Verfahren

Neue Fördermodelle oder die bessere Nutzung der bestehenden Stromproduktionskapazitäten können nur zum Erfolg führen, wenn die langwierigen Bewilligungsverfahren verkürzt und damit die Prozesse für den Um-, Aus- und Neubau von z.B. Wasserkraft-, Windkraft- und von PV-Anlagen (z.B. beim Eigenheim) beschleunigt werden. Dazu braucht es eine Straffung der Einsprache-, Konsultations- und Rechtsmittelverfahren und eine faire Güterabwägung bei Infrastrukturen von nationalem Interesse (vor allem beim Ausbau von erneuerbaren Anlagen). Zudem muss nun, nachdem mit der Strategie Stromnetze die gesetzliche Grundlage für die Beschleunigung des Um- und Ausbaus der Stromnetze gelegt wurde, die Umsetzung zugunsten der Weiterentwicklung der Stromnetze konsequent an die Hand genommen werden. Das ist in Anbetracht der grossen Herausforderungen der dezentraleren Stromproduktion zwingend.

Vorantreiben des EU-Stromabkommens

Die aussenpolitischen Bemühungen für ein Strommarktabkommen mit der EU müssen möglichst rasch vorangetrieben werden. Dies ist ein wichtiger Schritt, um die Integration in den EU-Strommarkt auch langfristig zu gewährleisten und somit die Netzstabilität sowie den für Schweiz zentralen Stromhandel zu sichern.

Investitionen in Forschung und Innovation

Neben den regulatorischen Bemühungen zugunsten der Stromversorgung, braucht es vermehrt Investitionen in die dafür notwendige Forschung und Entwicklung. Sie spielt eine entscheidende Rolle, um das vorhandene Wissen an den technischen Hochschulen in die Praxis umzusetzen und somit langfristig zu einer möglichst effizienten Lösung für unsere Stromversorgungssicherheit beizutragen. Ein wichtiger Aspekt hat dabei auch die Förderung der Forschung im Bereich der «Power-to-X»-Technologie. Ebenso sind die Forschung und Entwicklung in den Bereichen der Restenergie-Nutzung von Brennstäben, der Entsorgung sowie neuer Kernenergie-Technologien voranzutreiben. Einen weiteren besonderen Fokus gilt es auf die Winterstromproblematik zu setzen (Speicherung, alternative Energiequellen etc.). Zentrale Grundvoraussetzung dafür ist die Technologieneutralität.